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Bewerbungen im Dutzend sind Normalität
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„Freie Presse“ fragte Schüler, Chefs und eine Berufsberaterin: Was kann ich tun, damit die Suche nach einer Lehrstelle Erfolg hat


VON KATJA UHLEMANN

Limbach-Oberfrohna / Chemnitz. In weniger als drei Monaten ist ihre Schulzeit zu Ende: Für die Zehntklässler der Limbach-Oberfrohnaer Gerhart-Hauptmann-Mittelschule läuft der Countdown bei der Suche nach einer Lehrstelle. „Freie Presse" hat sich in der Klasse 10b umgehört. 24 Schüler, ganze sieben von ihnen haben jetzt, mitten in der Prüfungsphase, eine Lehrstelle gefunden.



Manche von ihnen haben eine Lehrstelle, viele noch nicht einmal eine in Aussicht: Für die Schüler der Limbach-Oberfrohnaer Gerhart-Hauptmann-Mittelschule läuft - genau wie für alle Schulabgänger - der Countdown. In der vorderen Reihe Christin und Linda, hinten Sabrina, Falk und Marc (von links) aus der 10b. -FOTO: ANDREAS SEIDEL

Das sagen die Jugendlichen


Christin, 16: 30 Bewerbungen habe ich verschickt, auch einige Vorstellungsgespräche gehabt. Ich möchte Restaurantfachfrau, vielleicht noch Hotelfachfrau, werden. Aber das wollen viele. Bisher habe ich mich nur hier in der Gegend umgeschaut, weil ich gern bleiben will, aber vielleicht wird das nicht gehen.

Robert, 16: Bei mir waren es mehr als 70 Bewerbungen. Ich habe mich schon für alle möglichen Berufe beworben, die mit Informatik zu tun haben, sogar als Mechatroniker. Einstellungstests habe ich auch hinter mir, aber gerade in diesem Fachgebiet haben Abiturienten meistens die besseren Karten. Ich probiere es weiter, was soll ich denn auch anderes machen? Wünschen würde ich mir, dass die Berater des Arbeitsamtes konkreter helfen. Die Tests auszufüllen und die Berufsbilder zu lesen hilft einem nicht weiter.


Marc, 16: Bei meiner ersten Bewerbung hat es gleich geklappt. Ich lerne Fischwirt in Bremerhaven, weil es mir am Meer besser gefällt als im Gebirge. Und weil die Chancen dort viel besser sind. Ob ich danach im Westen bleibe? Ganz bestimmt.

Sabrina, 16: Ich werde Tierpflegerin, gehe für die Lehre nach Krefeld. Meine Eltern leben dort schon, und hier hätte ich in meinem Wunschberuf überhaupt keine Chancen gehabt. 40 Bewerbungen habe ich verschickt, außer einer Drei in Mathe auch durchweg gute Noten. Woran es also gelegen hat? Keine Ahnung. Wenn's geht, will ich nach der Ausbildung hierher zurückkommen, aber mit einer festen Arbeit sieht es ja hinterher auch nicht besser aus.

Alexander, 16: Ich lerne bei Mercedes in Limbach, werde Kfz-Mechaniker. In der Firma habe ich auch mein Schulpraktikum gemacht, das hat sich also ausgezahlt. Insgesamt habe ich mich 39-rnal beworben, es ist wirklich frustrierend, wenn man immer wieder die Absagen aus dem Briefkasten holt. So schlecht ist der Notenschnitt von 2,1 ja nicht.

Das meinen die Chefs



Edouard Ananijev, Geschäftsführer der Riedel Textil GmbH in Limbach-Oberfrohna: Heute ist es für junge Leute sicher schwieriger als vor 20 Jahren. Aber was man mit Bewerbern manchmal erlebt, das ist für die schwierigen Zeiten erstaunlich. Oft bekommt man schlampige, lieblose Mappen oder Serienbriefe. Viele haben gar keine Ahnung, was sie die nächsten 30 Jahre in dem Beruf machen sollen, für den sie sich gerade bewerben. Auch das Vorstellungsgespräch ist zäh, wenn man jemanden vor sich hat, der weder etwas sagt noch etwas fragt. Was ich noch gemerkt habe: Die Allgemeinbildung ist schlechter geworden. Es ist mir nicht nur einmal passiert, dass ich nach der Person gefragt habe, nach der die Schule oder Straße des Bewerbers benannt war, und keine Antwort bekam. Als Arbeitgeber bin ich im Moment in einer komfortablen Lage: Ich kann mir die Bewerber aussuchen, für die zehn bis 15 Ausbildungsplätze habe ich 200 Interessenten.

Susan Ziller, Inhaberin des gleichnamigen Friseur- und Kosmetiksalons in Limbach-Oberfrohna: Viele rechnen nicht damit, dass sie als Friseurin gute Kenntnisse in den Naturwissenschaften brauchen. Mathe, Chemie, Biologie, damit müssen die Lehrlinge umgehen können. Ich achte außerdem auf die Zensur in Kunsterziehung und die Kopfnoten. Höflichkeit, ein gepflegtes Äußeres und ein aufgeschlossenes Wesen, Feingefühl, das sind entscheidende Dinge. Was sehr schade ist: Ich bekomme nur wenige individuelle Bewerbungen, häufig gleichen sich die Formulierungen bis ins Detail.

Thomas Kühn, Serviceleiter im gleichnamigen Autohaus in Limbach-Oberfrohna: Viele glauben, dass sie in einem Autohaus den ganzen Tag Probefahren oder Bassboxen einbauen dürfen. Wer denkt, dass er in der Lehre sein Hobby pflegen kann, liegt falsch. Was die Noten angeht: Mathe, Chemie, Physik müssen sitzen. Wenn ein Ausreißer dabei ist, kann man den erklären, einen miesen Durchschnitt allerdings nicht. Außerdem gibt es nur wenig Schlimmeres, als den Firmennamen falsch zu schreiben. Rechtschreibfehler sollten ebenfalls tabu sein. Ein von den Eltern verfasster Text hilft auch nicht, so etwas fällt nämlich sofort auf.

Das empfiehlt das Arbeitsamt


Michaela Barthel, seit 1995 Berufsberaterin: Erstaunlich ist, dass sich die Schulabgänger aus 400 Berufen nur unter den beliebtesten 20 entscheiden. Viele sind in die Wendezeit hineingeboren und haben die Arbeitslosigkeit bei Eltern oder ihren älteren Geschwistern erlebt. So sind sie oft desillusioniert. Da leiste ich weniger Berufsberatung als vielmehr Lebenshilfe.

Für viele kommt die Entscheidung zu früh, der Knoten platzt oft erst in der 10. Klasse, doch dann ist es für Verbesserungen der Noten meist zu spät. Und wenn sich die Jugendlichen einen Beruf ausgewählt haben, endlich, erfahren sie, dass sie den Job nicht kriegen. Viele Unternehmen wollen keine pädagogischen Leistungen mehr erbringen, sie wählen sich einfach die Besten. Auch mit einer Mathe-Drei könnte man die Ausbildung zur Bürokauffrau schaffen, aber das ist eben eine Marktfrage. Man kann den Schülern nur raten, Praktika zu nutzen und sich objektive Berater zu suchen. Lehrer oder Verwandte sind da nicht immer die besten Ansprechpartner. Das Elternhaus aber sollte unbedingt mitziehen, die Jugendlichen unterstützen.

Unfreiwillig - Eine verlorene Generation


Zehn Bewerbungen, dreißig, siebzig und genauso viele Ablehnungen: Für viele Schulabgänger im Umland beginnt der Start ins Berufsleben mit herben Enttäuschungen. Manche bleiben von Anfang an auf der Strecke. Für viele findet sich nur ein Ausweg: Sie kehren ihrer Heimat den Rücken, unfreiwillig. Dass sie eines Tages zurückkommen, ist wenig wahrscheinlich. Für die Region sind diese Jungen und Mädchen eine verlorene Generation - und für die Region ist das eine verlorene Chance. In ein paar Jahren werden Fachkräfte fehlen, auch hier. Wie gut wäre es, wenn der eine oder andere Chef schon jetzt zusätzlich in die Jugend investierte. Ganz freiwillig. Damit die Gegend eine Chance hat.

Freie Presse 19.04.2004 (UKA)


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